Klimarettung in Sao Paulo Teil 4: Andere Länder, Andere Sitten

Feijoada

Das Leibgericht aller Brasilianer ist Feijoada, eine Art Bohneneintopf in den so ziemlich alles reingeschnetzelt wird, was 4 Beine hat. Natürlich vor allem diverse Teile vom Rind, dem Lieblingsspeisetier hier. Mit Christiane Riedel vom ZKM und Joachim Bernauer vom Goethe-Institut sitze ich in einem kleinen Restaurant und verspeise dieses köstliche Gericht, während unablässig laute Autos vorbeibrausen. Wir besprechen den gestrigen Abend, der doch leicht überraschend verlief:

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In Brasilien sind Generalproben wie Aufführungen – es gibt nicht den geringsten Unterschied. Der Saal ist komplett ausverkauft und die Brasilianer kommen in Scharen. Zwischendrin gibt es mehrere kleine Büffets und das Fernsehen interviewt verschiedene Verantwortliche. Der Soziologe Laymert Garcia dos Santos hält einen spannenden Vortrag über Schamanismus in der modernen Welt, während wir hinter den Kulissen in der Maske sitzen und Soundchecks machen.
Die Aufführung des ersten Teils (TILT von Klaus Schedl) verläuft gut mit den üblichen Generalprobenpannen: plötzlich sind Orchester und Band verschoben, der Click fällt aus und die Bühne spaltet sich, da ich beim Herumspringen bei einer Death-Metal-Stelle die Bühnenteile verchoben habe.
Das Publikum klatscht freundlich, einige stehen sogar auf.

Der zweite Teil (Tato Tabordas Teil) läuft ebenfalls gut – das Publikum macht sich in der Inszenierung von Michael Scheidl auf, ein tolles Bühnenbild zu erforschen und sich in die Erfahrungswelt der Yanomami zu begeben Dazu paffen Christian Zehnder und Phil Minton Zigarren, am Schluss wird es hell und alle kommen in der Mitte zusammen. Großer, enthusiastischer Applaus.

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Joachim Bernauer erklärt dem brasilianischen Fernsehen das Amazonas-Projekt

Nun sind wir natürlich alle gespannt, wie der ZKM-Teil in Brasilien ankommen wird. Es ist kein Geheimnis, dass dieser Teil der von den deutschen Kritikern der Meistgescholtenste war. Fast einstimmig wurde er als „zu naiv“ verdammt, die Inszenierung mit einer Volkshochschulveranstaltung verglichen. Das ZKM-Team, das hier viel Arbeit hineingesteckt hat, mußte hier manche Schelte tapfer aushalten, vor allem bei der letzten Münchener Aufführung, bei der nach der Abwanderung der Hälfte des Publikums während der Auführung alle Beteiligten vom Publikum mit Rufen wie „Verlogene Scheisse!“, „Ihr Arschlöcher“, „Fickt Euch“ und – unvergessener Spruch – „Zwei Millionen Euro für Scheisse!“ bedacht wurden, ohne dass es überhaupt Applaus gab. Leicht betreten löffelte man danach Yanomami-Suppe bei der Dernierenfeier – denn tatsächlich war dies unsere beste Aufführung gewesen.

In Sao Paulo nun läuft der ZKM-Teil bis auf die Simultanübersetzung quasi unverändert von München wie gewohnt ab: Zuerst gibt es eine ca. 15-minütige reine Lightshow auf der Lichttreppe, dann beginnt die Amazonaskonferenz unter Einsatz des Reactable-artigen Tisches, dann werden wir zum Chor und singen den von Ludger Brümmer vertonten Peter Weibel-Text…. „they are all silent witnesses to civilisations that disappaered – is the mysterious Amazon the next ruin?“. Danach kommen wir mit unseren weißen Lichtschirmen nach vorne, darauf werden die Köpfe des Publikums projiziert, die dann auf portugiesisch betroffen „Der Marktnihilismus ist der wahre Terrorismus“ murmeln.
Das Stück ist zu Ende – wir ducken unsere Köpfe in Erwartung der Buhstürme.

Stattdessen: Applaus.
Wir lassen die Lihtschirme ungläubig sinken. Das Publikum klatscht einhellig. Dann steht jemand auf. Dann steht jemand zweites auf.
Nach und nach erhebt sich das gesamte Publikum bis alle stehen und uns eine standing Ovation schenken. Nicht nur für das ZKM, sondern für den ganzen Abend, aber AUCH fürs ZKM.
Das ZKM-Team ist gerührt, wir sind es auch.

Andere Länder, Andere Sitten. Wird es morgen bei der Premiere auch so sein? Man darf gespannt sein…

Moritz Eggert

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Generalprobenpublikumsimpressionen

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noch mehr Generalprobenpublikumsimpressionen

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2 Antworten

  1. querstand sagt:

    Deutschland ist böse! JAWOLL! Oder nur: na ja…

    Einerseits, Eggy, ganz zurecht, „andere Länder, andere Sitten“. Ich denke auch:“Es liegt immer im Auge des Betrachters“. So bin ich schon wieder bei meiner „Ferne“, in der Alles schöner, einfacher wirken kann, als für den dort Beheimateten der Fall ist.

    Nun erwartet man eigentlich von den Brasilianern ein Umweltbewusstsein für ihren Regenwald wie wir für unser Waldsterben der Siebziger und Achtziger. So nimmt es kein Wunder, wenn in Deutschland die „Amazonas“-Oper, besonders der letzte Teil aus der Feder des ZKM unfreundlich rezipiert worden ist: komplexe Sachzusammenhänge wurden eigentlich sehr einfach und begreifbar dargestellt. Garniert mit Parolen wie „Rinderwahnsinn“ oder „der Marktnihilismus ist der wahre Terrorismus“. Das wirkte im Widerhall zur glänzenden technischen Aufschwurbelung noch älter als Altachtundsechzig, das Publikum fühlte sich nicht mal in einer Volkshochschulveranstaltung, bei der es durchaus intellektueller zugehen kann, man kam sich einfach unterfordert vor und dachte immer wieder an des Kaisers neue Kleider, wie mit den relativ bekannten Bild- und Klangtechniken noch bekanntere Umwelt- und Wirtschaftsfakten wiedergekäut worden sind – das war also der eigentliche „Rinderwahnsinn“, dem dann das o.g. Wahn-Zitat noch die Krone aufsetzte. Man hätte sich bei den relativ bekannten Tatsachen der Regenwaldvernichtung eine strengere oder richtig unterhaltsamere Herangehensweise gewünscht.

    Soviel ich weiß, war die Generalprobe auch bis auf den letzten Platz gefüllt, gab es zwischen den Blöcken Häppchen. Die Grundanordnung des Abends dürfte in Sao Paulo der in München nicht ganz unähnlich gewesen sein.

    Ob das brasilianische Musiktheaterpublikum nun offener ist als das Deutsche? So mag es einem im Dunst der Heimatferne vorkommen, in der das Fremde gerne schöner schillert als der graue Heimatalltag. In seiner Jugendlichkeit war das Münchner Generalprobenpublikum wohl ähnlich unbelastet von den Themen der Altachtundsechziger und Grünen Fundamentalisten wie es das Publikum in Sao Paulo sein dürfte. In den Punkten Informiertheit über die Gefahren und den Stand der Regenwaldvernichtung sowie die aktuellen Mittel von Kunstäußerungen ist das deutsche Publikum garantiert „aufgeklärter“, zumal wenn zu zwei Dritteln der Abend von in Deutschland beheimateten Künstlern gestaltet wird.

    Über den mittleren Teil, verantwortet von dem brasilianischen Komponisten Tato Taborda und dem europäischen Regiesseur Michael Scheidl, ließe sich auch streiten, ob er wirklich so „wunderbar“ gewesen ist. Erstaunlicherweise fand der aber mit seinen Waldklängen, brasilianischen oder indianischen Texten und der an eine Sambakapelle Sound den meisten Anklang. Wäre zumindest der ZKM-Teil mit wie auch immer „populärer“ oder „ernster“ uns hier als „brasilianisch“ erscheinender Musik gestaltet gewesen, hätte er mehr Freundlichkeit geerntet als mit diesem Licht- und Soundglamour, die allein auch nicht der Hype waren (man denke an die öde Brümmer-Musik…). Da war nicht das Publikum hinter der Zeit, nein, die Produktion war irgendwie veraltet, in ihrer unlockeren Ernsthaftigkeit. Jede Star-Treck-Banalität, ja selbst die „erste“ aber zuletzt produzierte Staffel, kommt einem in den tragischen Momenten ehrlicher vor, so komisch das Gebeame auch sein mag.

    Wie nehmen nun die musiktheaterbegeisterten Sao-Pauliner die deutschen Zweidrittel der „Amazonas“-Oper wahr? Keine Ahnung, da nicht vor Ort! Aus der von Dir geschilderten Begeisterung lässt sich nur schlussfolgern, dass bei ihnen auch ein „Ferne“-Effekt einzusetzen scheint. Wohl scheint der deutsch sprechende Eggert-Yanomami tatsächlich eine gewisse Exotik bei ihnen zu erwecken, vielleicht ist ja gerade die Simultanübersetzung das fehlende künstlerische Vademecum, was den Abend auch hier gerettet hätte. Oder herrscht einfach in Bezug auf die eigenen Umweltprobleme eine Uninformiertheit, wie wir sie z.B. in Bezug auf die nigerianische Ölkatastrophen in Relation zur aktuellen Golf-von-Mexiko-BP-Katastrophe haben, in Bezug auf das Austrocknen des Aralsees und die viel stärkere Beachtung von chinesischen Erdbeben, etc.?

    Es kommt also immer auf den Standpunkt des Betrachters an. Da kann für uns elektronischer Samba ultramodern sein, da begeistern sich Brasilianer für Kleinterz-Großterz-Tritonus-Chromatikschrauberei mit Quicktimeinstrumentensound aus Karlsruhe. Aber gibt es wirklich nichts zu Verabsolutierendes, was als internationaler Maßstab für Neue-Musik herhalten könnte, gerade für diese Musik, die doch so internationalistisch sein möchte, jenseits aller Nationalstile oder anderer „moderner“ Musik? Das ist doch die eigentliche Frage. Oder sind wir schon viel zu überkritisch? Oder sind die Staaten, die von der Zweiten zu Ersten Welt aufschießen möchten, einfach naiver, wiederholen alle schrecklichen Fehler, die unsereins beging? Brauchen sie auch soviel Mühe und Zeit für einen verbesserten Erkenntnisgewinn, der dann aber auch erstmal nichts ändert?

    Und da kommen wir wieder zu Darmstadt, das ich in meinen letzten Beiträgen so zwiespältig belästerte. Vielleicht ist auch Darmstadt mit seinem jetzigen Grisey und Partch Revival für die informierte Neue-Musik-Gesellschaft in Deutschland einfach eine müde Veranstaltung, da doch bereits auf allen Festivals bekannt, nur eben Darmstadt erst jetzt. Also, braucht eine deutsche Neue-Musik-Szene wirklich die Vorhut „Ferienkurse“, die doch eher ein alter Hut sind? Da wird es noch viel zu modernisieren geben! Oder sind doch die neuen Präsentationsformen das Novum, geht es um kontinuierliche Weitergabe neuen und neueren Wissens? Das muss tatsächlich stattfinden und berechtigt per se die Ferienkurse. Vielmehr müsste aber ein noch breiterer Wissenstransfer in alle Welt vorgenommen werden, gerade eben auch nach Brasilien.

    Ich gestehe durchaus sehr hoch vom europäischen Roß herabzuschauen. In aber fast allen o.g. Punkten haben wir Vorbildfunktion, gerade auch mit unserer manchmal überzüchtet erscheinenden Selbstkritik. Diese aber dürfte die nächste Zeit der wichtigste Export unserer aufgeklärten Musikkultur sein, ob nun weiterhin postmodernistisch, komplexistisch, altgeräuschlich, neuspektral oder allgemein fusionistisch. Die Vision muss aber immer die Aufklärung und der Streit um sie und gegen sie sein, aus dem heraus sie immer wieder neu geboren wird.

    Aus der Ohrenwerkstatt,

    Euer Alexander Strauch

  2. eggy sagt:

    alles interessante Gedanken, Alexander – ich werde in wenigen Stunden von den Aufführungen vor „Normalem“ Publikum berichten….