Vor dem Abgrund

Kollege Hahns vorangegangene poetische Reisebeschreibungen kommen aus einem Teil der Republik, der sich nach wie vor durch hohe Kulturdichte – und vielfalt auszeichnet. Quasi ein gesegnetes Land, dieses Ruhrgebiet. Man hat dort etwas ganz Einfaches erkannt: Wo etwas stirbt – der Bergbau – muß etwas Neues entstehen. Z.B. Kultur. Das ist nicht das Schlechteste, finde ich.

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Gerade weilte ich aber wieder einmal im genauen Gegen-Teil, auf der anderen Seite der „Grenze“  (die ja – wenn es nach SAT 1 geht – auch bald wieder aufgebaut werden wird):  im schönen Dessau, Heimat von Kurt Weill und Wilhelm Müller, einer Stadt mit großer wie schrecklicher Geschichte (Bauhaus und Zyklon B).

Auch in Dessau kennt man die Geldverknappungsprobleme, die uns in Form von Hiobsbotschaften momentan fast wöchentlich nicht nur im Bad Blog erreichen. Dessaus Bürgermeister bekam gerade vom Land solche hanebüchenen Sparpläne auferlegt, dass er vor lauter Verzweiflung an die Öffentlichkeit trat, um den bald bevorstehenden Komplettbankrott der Stadt zu verkünden,  inklusive Schließung des Theaters, aller Kindergärten, Sportplätze und Bildungseinrichtungen. Dessau würde damit vollends zur Geisterstadt (schon jetzt begegnet man kaum einer Seele auf den wie leer gefegten Strassen, die ursprünglich mal für eine drei mal so bevölkerte Stadt angelegt wurden).

Natürlich ist Dessau kein Einzelfall – schon letztes Jahr berichtete ich aus Hoyerswerda, einer weiteren zunehmend entvölkerten Stadt, und dass auch dort die Hoffnung nicht stirbt.  Wer – wie ich – öfters im Osten unterwegs ist, hat immer mehr das Gefühl, dass man hier von oben fast planvoll ganze Landstriche ausblutet, die komplette Verödung in Kauf nimmt. Die Kanzlerin – selber eine Tochter des Ostens – lächelt dazu milde. Aber vielleicht kann sie auch nicht anders. Einige wenige Vorzeigestädte werden – zuckerbäckergleich – touristisch instandgehalten (Leipzig und Dresden), in manchen Städten geschieht dies auch, obwohl (leider) kaum ein Tourist hinkommt (Görlitz), und andere Städte scheint man schon längst komplett aufgegeben zu haben.

In diesen Seiten wurde schon öfter über die zunehmende Frustration der ostdeutschen Komponisten und Konzertveranstalter gesprochen – manche geben entnervt auf (wie vor kurzem die Ausrichter des umstrittenen Bordellkonzertes in Leipzig*), andere reiben sich alljährlich aufs Neue an immer widriger werdenden Gegebenheiten auf (wie die heroischen Organisatoren der „via nova“-Konzerte in Weimar). Aber es wird gekämpft – und ein künstlerisches Potential ist vorhanden.

* Letzte Nachricht aus Leipzig: man hat einen Kompositionswettbewerb zum Thema „Fast Food“ ausgeschrieben, zur Aufführung in der „Burger-King-Filiale“ Leipzig Radefeld. Ein guter Kommentar zu den Kürzungen, wie ich finde.

grenze

Das Absurde dabei ist, dass die Sparmaßnahmen –  die vor allem im Osten allgegenwärtig sind – sich in einer Spirale der Abwärtsbewegung befinden, die sich selber immer weiter hochschaukelt, ohne dass es hierzu Katastrophen wie die Wirtschaftskrise überhaupt noch braucht.

Der Grund dafür ist einfach: Hauptargument für die Kulturkürzungen sind sinkende Einwohnerzahlen und damit natürlich auch Steuereinnahmen. Immer schwieriger ist es, gigantische Bauten wie zum Beispiel das Theater Dessau vor einer schwindenden Stadtbevölkerung zu rechtfertigen, geschweige denn andere größere Kulturausgaben. Aber wie soll die Bevölkerung je wieder wachsen, wenn das Kulturangebot schwindet? Wer möchte an Orte ziehen, an denen es keine Kindergärten, keine anständigen Schulen, kein Theater, keine Museen, keine Konzertsäle  gibt? Und damit auch keine Cafés, keine Kneipen, keine Restaurants? Jeder eingesparte Euro kommt einem also schnell wesentlich teurer zu stehen, als man denkt, aber der Horizont der meisten Politiker reicht nicht aus, dies zu begreifen. Und mit ein Grund hierfür ist deren eigene mangelnde Kulturbildung, die auch ein Symbol für Kulturverfall in der jüngsten Vergangenheit ist: im Osten, durch die Diktatur, wie im Westen, durch schiere Nachlässigkeit.

Kultur ist – wie wir immer leidvoll feststellen müssen – nicht messbar, es ist kein Gut wie Öl oder Gold, das man in Quantitäten berechnen kann. Schon oft ist der Versuch unternommen worden, den finanziellen Nutzen von Kultur zu bewerten, ihre Auswirkung auf die Gastronomie, die Hotelerie, die Immobilienpreise. Solche Untersuchungen scheitern daran, dass nie genau festgemacht werden kann, wie viel jetzt die Kultur hierbei in Cash einbringt. Denn das ist auch Quatsch – Dieser Wert ist nicht in Zahlen zu messen, nicht abzufüllen, nicht zu quantisieren.

Andererseits wissen wir alle, dass Städte mit großen Kulturangebot auch eine Menge Leute anziehen, dass diese Städte wachsen und gedeihen, während die Städte, die sich irgendwann – ob gerne oder ungerne – für einen radikalen Kulturabbau entschieden haben, zunehmend unter Bevölkerungsschwund leiden. Das alles ist ein komplexes Geflecht von Beziehungen, aber man kann mit einiger Sicherheit sagen, dass selbst Menschen die nie das Theater oder Opernhaus ihrer Stadt besuchen, indirekt von deren Existenz enorm profitieren. Wobei wir hier fälschlicherweise nur von der „Vorzeigekultur“ sprechen – zur kulturellen Aktivität einer Stadt gehören natürlich ebenso die Bildungsstätten, die Kindergärten, die Sporteinrichtungen, die Museen, die Jugendzentren und auch die Existenz einer gesunden alternativen Szene, die sich an Etabliertem reiben kann.

Man kann von Kultur nie genug haben. Man sagt nie: „Diese Stadt hat ZU VIEL Kultur“. Aber man sagt sehr wohl: „Diese Stadt hat keine Kultur mehr“. Jede Stadt, in der man gerne lebt, hat eine blühende Zukunft. Aber dort wo nichts los ist, möchte man nicht leben.

Vielleicht sind dies alles unveränderbare Prozesse. Vielleicht ist der Osten dieses Landes dazu bestimmt, zu verwaisen, zumindest solange, bis ein neuer Industriezweig kommt, dem es gelingt, die Städte wieder zu beleben. Aber das ist pure Theorie. Und irgendwie gefällt mir auch nicht, dass die Rettung im Kapitalismus liegen soll.

Es beschleicht mich das Gefühl, dass die Verödung des Ostens eine Schande wäre. Eine Respektlosigkeit gegenüber einem großen Teil unserer Bevölkerung, der dort noch lebt, eine Kapitulationserklärung vor einfältigem Gesindel, braunen Agitatoren und verdummten Verantwortlichen in der Politik. Vielleicht ist es an der Zeit, auf die Strasse zu gehen, wie in Italien. Vielleicht braucht es auch eine radikalere Kunst, eine, die sich nicht mehr in Selbstbefindlichkeiten, in Narzissmus und Nabelschau feiert. Die Verunsicherung ist auch eine Chance.

Was niemand begreift: wesentlich kontroverser als in ganzseitigen Anzeigen  in der „Zeit“ um Geld für ein Opernhaus in Afrika zu betteln wäre es, dies für ein NEUES Opernhaus in der Deutschen Provinz zu tun. Auf dass überall dort, wo etwas ausdörrt, etwas Neues entstehen möge. Gerade jetzt, in dieser Zeit. Man muss all dem etwas entgegensetzen, etwas das erblühen kann.

Das wünscht sich

Euer

Moritz Eggert

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9 Antworten

  1. >>>
    und Städte wie Meiningen oder Hoyerswerda scheint man schon längst komplett aufgegeben zu haben
    <<<

    Meiningen? Das ist wohl eine Fehlinformation. Hier wird nichts aufgegeben, weder allgemein noch kulturell. Das 3-Sparten-Theater ist so weit absehbar ungefährdet, es wird für Millionen ab Mai saniert. Also: Entwarnung!

  2. eggy sagt:

    @Thomas Michel:
    Danke für die Info – dann bin ich wohl einem Fehlgerücht aufgesessen. Ich bin ja heilfroh, wenn es mal ausnahmsweise nicht so ist!

  3. Niels123 sagt:

    @eggy

    Vielleicht braucht es auch eine radikalere Kunst, …

    Wie soll die aussehen und was soll sie bewirken?
    Herzliche Grüße aus der Lausitz

    • eggy sagt:

      @Niels:
      Eine gute Frage! Es ist natürlich auch leicht, so etwas mal en passant zu fordern (wie ich es getan habe). Und wenn man das dann genau zu erklären versucht, läuft man natürlich Gefahr, an diesen Maßstäben selber gemessen zu werden und zu scheitern. Nichts ist schlimmer als wenn das „Radikale“ zur Pose wird. Auch politische Kunst hat ihre Grenzen – ein Nono zum Beispiel hielt das auch nicht ewig durch, seine späteren Werke gehen dann eher in eine esoterischere Richtung. Ich werde es aber dennoch versuchen: „radikal“ ist alles, was nicht nur affirmativ ist und den Status Quo bestätigt, sondern eine Angriffsfläche bietet. Und natürlich kommt es auch auf den Kontext an – so wäre zum Beispiel die Aufführung eines weltzugewandten, humorvollen, zugänglichen und lebendigen Stückes ohne langen erklärenden Programmhefttext im Kontext bestimmter altmodischer „Neuen Musik“-Veranstaltungen sehr „radikal“, im Kontext eines normalen Abonnementkonzertes wäre es das nicht so sehr. Wir haben das Problem, dass sehr viel in verschiedenen, in sich abgeschlossenen „Szenen“ passiert – wenn diese sich stets selbst bestätigen, kann natürlich wenig Interessantes passieren.
      Im Moment hieße „radikal“ für mich, diese Situation in der eigenen Arbeit zu thematisieren, nicht so zu tun, als ob man sich in einem gesicherten Raum befindet. In der Musikwelt (und der Kulturszene) befindet sich im Moment vieles im Umbruch, und nicht alles davon zum Guten. Hier nun weiter den Hofnarr zu spielen und zerfallende Strukturen zu bedienen scheint mir nicht so fruchtbar wie sich dieser Verunsicherung in irgendeiner Form auszusetzen, sie als Einfluss auf die eigene Ästhetik anzuerkennen. Das kann ganz unterschiedliche künstlerische Früchte tragen, aber diese sind auf jeden Fall interessanter als das „Weiterwursteln“.
      Insofern hast Du mich vielleicht mißverstanden, Erik- ich finde diese Burger King-Aktion in Leipzig auch gut. Immerhin wagt sich hier Neue Musik in einen ungeschützten Raum, in einen anderen Kontext. Das kann nur – egal wie das Experiment ausgeht – interessant sein.
      Moritz Eggert

  4. Erik Janson sagt:

    @ MOritz, deines Kommentars:

    – manche geben entnervt auf (wie vor kurzem die Ausrichter des umstrittenen Bordellkonzertes in Leipzig*), […]
    Letzte Nachricht aus Leipzig: man hat einen Kompositionswettbewerb zum Thema “Fast Food” ausgeschrieben, zur Aufführung in der “Burger-King-Filiale” Leipzig Radefeld. Ein guter Kommentar zu den Kürzungen, wie ich finde.

    Was Du oben schreibst bzgl. FZML finde ich ein wenig widersprüchlich. In der Fastfood-Aktion sehe ich z.B. nicht nur eine Art „resignativ-witziger Reaktion“ auf die Leipziger Sparpläne, sondern davon unabhängig, auch eine sehr witzige Idee, die sicher denen auch dann gekommen wäre, wenn es die Sparpläne nicht gäbe. (Nur kann man wenn alles kaputt gespart wird, halt – leider! – immer weniger solcher Brückenschläge zwischen Neuer Musik und „Popularkultur(en)“ machen (wie sie ja Massenmedien und Kulturpolitik sich tw. insgeheim wünschen und von uns erwarten) seien diese Aktionen nun kritisch, affirmativ oder sonstwie. Ich kann aber zusammmenfassend in Leipzig derzeit auch keinerlei Resignation erkennen sondern ebenso Kampfgeist wie in Weimar, Randspiele Zepernick, wie fast überall im Osten. Es kommen früh genug noch Zeiten (rechne ab 2011/2012/23 schon damit), wo sich die „freien Szenen“ hier im Westen (evtl. auch namhaftere Festivals) vom Osten bzgl. Kampfgeist für die „ungehörte Kultur“ o.ä. eine Scheibe abschneiden und davon was lernen können.

    Die Solidarität: Komponisten, Interpreten, Szenen muss mehr quer durch die Republik gehen, die „Wall“, die Du – anspielenderweise? – oben in Deinen Comment postetest, die muss wirklich nun aus den Köpfen auch aus unser aller Köpfen verschwinden, und damit meine ich vor allem auch aus manchen West-Köpfen.

    Und – war da nicht mals was? Eine Euphorie?
    Ein „fremden-Menschen-in-die-Arme-Fallen“?
    Ein Versprechen von „blühenden Landschaften“?

    Und was haben wir heute? Im Jahr 1 nach dem „großen MAUER fall-Jubiläum?:
    -Hartz IV-Debatten und ganze (ohnehin schon exkludierte) Bevölkerungsgruppen diffamierendes und zynistisches Geschwätz von „spätrömischer Dekadenz“.
    -Polarisierungen statt Lösungen und Ablenkungen vom eigentlichen Hauptproblem, was den Verfall (es ist KEIN „Umbruch“) des gesellschaftlichen und kulturellen Zusammenhalts (global) zu verantworten hat:
    – Umverteilungen von unten nach oben, weiter muntere Liberalisierungen des Finanzmarktes und Wiederaufblühen des Casino-Kapitalismus als habe es die Finanzkrise I niemals gegeben(es wird mit solchem Denken auch eine II, III, IV etc. geben..).

    Wer sind die dann wohl (nach der Finanzkrise II) die nächsten „Dekadenten“ für die Neoliberalisten?
    Vielleicht die „neue Musik“…? Wir Komponisten o.ä.?
    Oder wer kommt als nächstes dran?

    Ich finde, wir Komponisten, alle Künstler haben nun die Aufgabe, endlich kritisch die Zusammenhänge zwischen dem
    Gesellschaftsverfall und dem Kultur aufarbeiten.

    Jeder auf seine Weise natürlich und wie er kann und mag.

    Grüße,
    Erik

  5. wechselstrom sagt:

    Das ist wieder einer dieser eggy-Artikel, die, aufgeblasen fachkundig daher trabend und garniert mit dem Schein eigener Anschauung und Erfahrung

    Wer – wie ich – öfters im Osten unterwegs ist, …

    nichts anderes sind als Kolportage und „vom Hören-Sagen“ abgeschrieben:

    Danke für die Info – dann bin ich wohl einem Fehlgerücht aufgesessen. Ich bin ja heilfroh, wenn es mal ausnahmsweise nicht so ist!

    Stille Post, ik hör dir trabsen.
    – wechselstrom –

  6. gähn….hast Du gerade mal wieder nichts zu tun, mein Lieber?

  7. wechselstrom sagt:

    @ eggy
    @ admin:

    dies hier:

    Und Moritz Eggert ist einfach ein dummes Schwein, dass man abknallen sollte.

    habe ich NICHT geschrieben.
    bitte um Löschung des Satzes und Überprüfung euerer Firewall.
    – wechselstrom –

    [Admin: Stimmt. Das hat wechselstrom nicht geschrieben. Aber wer war es dann? Würde mich freuen, wenn der- oder diejenige sich umgehend bei mir melden wollte. Eine Mail an apfel@hufner.de würde schon genügen. Der Rest ergibt sich dann.]

  8. Morgenstern sagt:

    Thomas Michel ist auch hier zu finden mit wirklich beeindruckende Bildern:
    Sollte man unbedingt mal gesehen haben.
    LG