Textinstallationen – Kreidler schlägt „über die Strenge“

Blogs haben ja bekanntermaßen gegenüber „waldschädigenden“ Medien – wie gedruckten Zeitungen, Verzeihung, Regensburg – den Vorteil, dass sie in großem Maße dialogisch sein können. (Vortrag Ende.) Arno hat es vorgemacht, indem er auf den Schrei aus den Kommentarspalten nach mehr Theorie mit einer Analyse geantwortet hat. (Wie meistens verrät die Analyse natürlich häufig mehr über die ästhetischen Voraussetzungen des Analysierenden als über den analysierten Gegenstand, aber darüber ließe sich ja auch mal trefflich streiten.) Wie bereits einigen treuen Lesern aufgefallen sein dürfte, gibt es in unseren Kommentarspalten eine regelmäßige wiederkehrende Berufung auf, Aufregung über, Begeisterung für Johannes Kreidler. Selbst harmlose Allerweltskommentare, die er nicht verfasst hat, werden dem armen Herrn Kreidler begeistert, erregt oder angewidert zugeschrieben. Ich freue mich daher, nun außerhalb der Kommentarspalten, einmal wieder einen Gastbeitrag von Herrn Kreidler anmoderieren zu dürfen, der schon eine Weile auf den Festplatten geschlummert hat, doch der sich nun in die Debatte werfen will.
Neulich noch las ich noch in einer Besprechung der neuen CD von Hannes Seidl, die bei WERGO in der Reihe des Deutschen Musikrats erschienen ist, den leisen Zweifel der Rezensentin, ob denn das, was da so mehr oder weniger klingt und „Musik für übers Sofa“ zu sein verspricht, ob das denn auch interessant wäre, wenn man dazu kein Booklet hätte, das einem etwas über diese Stille, diesen Lärm und diese Brüche erzählt.
Wir widmen der Rezensentin daher diesen Eintrag, denn sie ist auf dem besten Wege, etwas über das Zusammenwirken von sinnlicher Erfahrung und Begriff zu lernen. (Ist ja nicht der dümmste Satz aus der Kritik der reinen Vernunft von Kant: „Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“ B75/A51.)
Johannes Kreidlers Text beruht auf einer schmerzvollen eigenen Erfahrung (darin Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ nicht unähnlich) und er schlägt wieder einmal „über die Strenge“ wenn er nach dem Jahrzehnt der Klanginstallationen das konzerttypische Genre der „Textinstallation“ in den Blick nimmt. Text ab.

Ich komme gerade noch rechtzeitig zum Konzert, die Musiker haben die Bühne schon betreten und nehmen Platz, me too. Schnell noch falte ich das Programmheft auseinander, das etwas arg klein gedruckt ist. (Sparmaßnahme? Versteckte Klauseln?) Oh, ein langer Programmtext zum ersten Stück! Aber da wird der Saal schon dunkel und die Klarinette haucht mir den ersten Ton in die Muscheln.

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Nach ein paar Minuten der üblichen „Neue-Musik-Klänge“ – wie soll’s auch anders sein, bei den immergleichen Instrumenten – drängt sich die Frage auf, was denn für Gedanken hinter dem Stück stecken. Also probiere ich jetzt doch noch zu erfahren, was der Komponist einen wissen lässt. Möglichst ohne der Musik Papierraschelsounds hinzuzufügen, falte ich das Heft wieder auseinander, versuche durch variierenden Einfallswinkel das schummrige Restlicht einzufangen und lese drei Absätze und eine Vita, unterbrochen von ein paar überraschend eingesetzten Akzenten der kleinen Trommel.

Ich finde das sehr seltsam. Da vorne spielen mir Musiker akkurat ausgehörte und -notierte Septolen vor, und dazu gibt es simultan einen Text in Form einer zeitlich völlig frei begehbaren Installation – bei leidlichen Lichtverhältnissen. Ist dieses Missverhältnis intendiert?

Textinstallation des Künstlers Stefan Brüggemann, gefunden auf dem Blog von Pablo Leon de la Barra, http://centrefortheaestheticrevolution.blogspot.com

Textinstallation des Künstlers Stefan Bruggemann, gefunden auf dem Blog von Pablo Leon de la Barra, http://centrefortheaestheticrevolution.blogspot.com

Die Programmtexte der Neuen Musik sind ungefähr wie Audioguides in einem Museum, dessen Klimaanlagen derart laut sind, dass der Guide besser außerhalb der Ausstellungsräume benutzt würde. Oder wie Bildinformationstafeln, die an gelenkigen Teleskopstangen befestigt sind und vom Rezipienten eigenhändig neben, aber auch vor dem Bild platziert werden könnten. (By the way: Das wäre für die Bildende Kunst womöglich eine gute neue Idee).

Es gibt keinen Konsens darüber, ob Programmtexte für die Neue Musik relevant sind oder nicht. Daher müsste der Hörer schon als Vorsichtsmaßnahme alle Texte zum Konzert vorher lesen. Das passiert freilich nicht. Das wiederum scheint den Komponisten egal zu sein.

Ich gehöre nicht zur Fraktion der programmtextphoben Komponisten, die gleichwohl meist überraschend redselig sind. Im Gegenteil: Ich mag Information, ich möchte zusammen mit der ästhetischen Wahrnehmung auch Nonästhetisches verarbeiten (Programmtexte, die selber Kunst sein wollen mag ich eher nicht; ich glaube an das Zusammenwirken von Sinnlichem und Begrifflichem). So wie der Komponist mich durch seine Komposition gängelt, darf er mir auch konzeptuell einen Fokus geben. Denn da fast alles Klangmaterial exploriert ist, man des Ausdifferenzierungsgrades – und seiner gesellschaftlichen Ausgrenzung – müde ist und die Negationen positiv geworden, zudem global relativiert sind, ist all das kein Garant mehr für und keine Definition mehr von „Neuer Musik“. Was sie dann von den Unterhaltungsmusiken unterscheidet, ist nicht mehr die Klarinette in pianissimo-Septolen gegenüber der grölenden Punkband, sondern in erster Linie ein Konzept. Wie dieses zusammen mit der Musik zu vermitteln ist, wäre die Frage! Aber die üblich gewordene Form des Abdrucks eines Werkkommentars vom Komponisten im Programmheft ist fast dilettantisch.

Wo bleibt die Fantasie fürs Medium? Das Programmtext-Wesen der Neuen Musik ist merkwürdig unterentwickelt im Verhältnis zu ihren elaborierten Partituren. Wenn sprachliche Informationen zu dem Stück wichtig sind, dann macht eine Moderation, beamt Text (keine Literatur!) an die Wand oder verteilt eigens zum Stück Handouts (und sorgt für Saallicht). Wenn der Text vergleichsweise unwichtig ist, dann macht das Saallicht aus, damit gelauscht wird oder lasst ihn weg! Weitere Informationen könnten auch durch Angabe einer Web-Adresse für später ‚verlinkt’ werden. Wenn hingegen all das dem Hörer überlassen bleiben soll, wäre doch grundsätzlich eine offene Form des ganzen Werkes angebrachter – zum frei zu lesenden Text auch eine frei rezipierbare Musik – aber kein herkömmliches Konzert, bei dem die Musik ordentlich im Guckkasten aufgeführt wird. In einer strengen Konzertform täte auch der Programmtextbehandlung etwas mehr Strenge gut.

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Musikjournalist, Dramaturg

7 Antworten

  1. Pèter Köszeghy sagt:

    …wenn Komponisten toller „Programnmtexte“ brauchen um damit die unfähigkeit zu vertuschen gute Musik komponieren zu können, bzw. in den Texten vorab erklären möchten, was denen in der Musik nicht gelungen ist, ist wirklich super super wichtig Herr Hahn. Gratulation!

  2. Pèter Köszeghy sagt:

    Fussnote 1, wenn Jemand nicht die Intelligenz und die innere Fantasie hat Musik ohne Text überhaupt zu verstehen, zu geniessen, zu erleben – sollte sojemand die Ohren lieber zustopfen und dabei Pantomime angucken….

  3. äh, Peter, der Text war nicht von Patrick, sondern von Johannes Kreidler, Patrick hat ihn nur angekündigt…

  4. Peter Köszeghy sagt:

    oh, pardon. das sind noch die übriggebliebene sprachliche barrièren….also: innhalt: stimmt, person: stimmt nicht.

  5. phahn sagt:

    und phill niblock schickt mir den hinweis, dass die erste tragbare text-audio-installation eines deutschen museums nun erhältlich ist:
    http://www.3gapps.de/nrw-forum

  6. Mike sagt:

    Aktuelle Informationen zum App des NRW Forums (Version 1.1) findet man hier