Stimme aus dem Off 06

Bad Blog zu den Donaueschinger Musiktagen 2009

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Der gestrige Tag begann nicht gut. Die Off-Teilnehmer wurden von der Rektorin der Musikhochschule Trossingen Elisabeth Gutjahr begrüßt. Wahrscheinlich meinte sie, es wäre wohl etwas zu wenig, einfach nur „Hallo“ zu sagen. Besser hätte sie es aber dabei belassen. Denn ihr kenntnisfreier Diskurs über den Freiheitsbegriff (oder das, was sie dafür hält) war ähnlich dünn, wie das „Wort zum Sonntag“ von Odda-Gebbine Holze-Stäblein. „Aber gut, man darf das nicht überbewerten“ (Rudi Völler).

Anschließend konnte man zwischen sieben Workshops wählen – und eines muss man festhalten: bei der Gestaltung der Workshops ist dieses Mal viel investiert worden. Gute Dozenten, interessante Themen, offene Diskussionen.

Wobei der Workshop von Reinhard Flender (Hamburg) mit dem Titel „Die ökonomischen Grundlagen für das Komponiere heute (Verwertungsgesellschaften in Europa, GEMA, GVL)“ ein wenig lasch begann. Die üblichen GEMA-Anekdoten (Geschäftsmodeller usw.) wurden erzählt, die Fragen der jungen Studenten eher allgemein beantwortet.

Dann in der Pause (wie angekündigt) Wechsel zum Verlags-Workshop mit Vertretern vom Verlag „wir-sammeln-die-schlechtesten-Komponisten-der-Welt“-Ricordi (außer Enno Poppe, aber der war schon vorher bekannt), von Bärenreiter (Sie, dreimal hintereinander: „Wie lautet denn jetzt Ihre Frage?“ Ich: „Vergessen Sie meine Frage, antworten Sie einfach!“) und von Breitkopf und Peters.

Eine offene Diskussion, die ergab: Verlage kümmern sich zwar auch noch (nur viel weniger als früher – schließlich gestalten viele Komponisten ihre Partituren am PC vollständig selbst) ab und zu um Notensatz, aber im Grunde gibt es sie nur noch als rein kapitalistisch orientierte Veranstaltungsagenturen, die sich für junge Talente meist nur dann interessieren, wenn sie schlagartig an das Licht der Öffentlichkeit geraten. Herzblutförderung von Komponisten gibt es kaum – außer natürlich beim Gutmenschenverlag Ricordi. Hier werden sogar Komponisten verlegt, die „sich wahrscheinlich noch nicht einmal in 70 Jahren rentieren würden.“ (Michael Zwenzner). Was man hier nicht weiß: Für einen Komponisten wie Nikolaus Brass wird sich in 70 Jahren auch ganz zu Recht niemand mehr interessieren.

Auch gattungsspezifische Empfehlungen an die Komponisten werden gegeben, so rät Zwenzner (Ricordi) von der Komposition neuer Opern eher ab: „Pragmatismus ist wichtig. Es ist besser, zwei Orchesterwerke zu schreiben, als eine Oper. Oper geht immer mehr zurück.“

Zwenzner bemüht sich auch, hinsichtlich der Komponistenempfehlungen in Richtung Darmstadt nach Donaueschingen (und wieder zurück), die Begriffe „Mafia“ und „Netzwerk“ zu unterscheiden und grummelt dabei (immer noch) beleidigt in sich hinein (siehe Darmstadt-Blog 2008) und wirkt wie ein kleiner dicker Schuljunge, dem man die Leberwurststulle in den Stinki-Stinki-Turnbeutel gesteckt hat, wenn er meint: „Ein Netzwerk ist nicht gleich eine Mafia.“ Mein Konterstatement („Aber ein Netzwerk ist nach allen Seiten offen. Und wenn in Darmstadt und Donaueschingen immer die gleichen Namen auf dem Programm stehen, dann ist von Offenheit keine Spur.“) beachtet er dann nicht mehr richtig. Na, ist auch egal.

Der Tag hatte nicht gut begonnen. Und er endete auch nicht gut. Die Musiktheaterinstallation Batsheba. Eat the history! von Manos Tsangaris begann unter wetterspezifisch nassen Voraussetzungen. Den Hauptteil des Abends verbringt man mit sinnlosem Herumstehen, wird dafür aber nicht entschädigt. Zuerst geht es in eine Halle, in der man sich direkt vor eine Frau setzt, die gerade beim Friseur zu sein scheint, jedenfalls trägt sie eine Art Haube. Lustige Taschenlampenspielchen vermitteln subtil die Ambition der Realschultheatergruppe Böblingen. Und irgendwann lehnt die Frau, die auch singen kann und dies auch ab und zu tut (wahrscheinlich wahllos – sie darf halt irgendwann lossingen; bei Tsangaris ist ja eh alles wurscht), sich zurück und sagt: „Mmh, Wellness“ (oder so ähnlich).

Dann ist es auch schon wieder vorbei und man muss einige Meter durch den strömenden Regen, trifft andere verärgerte, entgeisterte Menschen und hofft nur, dass es bald vorbei ist. Die Wartezeiten werden länger, die Inszenierungen dabei aufwendiger – aber kein bißchen besser. So ist es eben, wenn ein einziger Künstler (wobei ich Tsangaris diesen Rang so langsam absprechen möchte) alles macht: Musik, Inszenierung, Text, Brötchenschmieren (ok, das letzte stimmt nicht).

In den nächsten zwei Räumen wird man dann wenigstens mit so etwas wie „Geschehen“ (wenn auch meist imaginär – dazu muss man den Programmtext gelesen haben) konfrontiert. Man sieht Batsheba auf einer Leinwand, räkelnd. Hier entsteht die Begierde von König David (derweil der SWR-Orchester-Dirigent Sylvain Cambreling an einem Laptop sitzt und bei entsprechenden Chat-Stichworten einen Schellenkranz schüttelt). Hier entstehen aber auch Momente eitriger Pusteln künstlerischer Impotenz und ärgerlicher Publikumsverarsche.

Manos Tsangaris ist kein Künstler. Er ist ein Spielkind, der durch seinen Charme die Veranstalter für sich einnimmt, aber inhaltlich wie formal nichts, gar nichts zu sagen hat.

Dazwischen gibt es Essen. Hier trefft ihr euch endlich: ihr häßlichen, dummen, langweiligen Donaueschingen-Freaks, die ihr hier – in dieser öden Stadt – eure unschöne „Familie“ wiederseht, die ihr euch unter unter Entstehung eines der widerlichsten Geräusche menschlichen Daseins beim Umarmen auf den Rücken klopft und anschließend doch wieder mit euren Gesichtern, in denen sich Jahrzehnte neidvollen und künstlerisch unfähigen Daseins abzeichnen, allein in die grauen Räume von Grundschulhallen der badischen Provinz schaut.

Donaueschingen 2009: wie es scheint, wird das ein Festival des Zuspätkommens, dabei sollte es doch ein Ort der Spannung, des Neuen, des qualitativ Hochwertigen sein. Spahlingers „offenes Konzept“ wirkt verstaubt (wenn ich auch bisweilen die klanglichen Ergebnisse und auch das museumshafte, das installative Moment der „Etüden“ mag). Ebenfalls mindestens 30 Jahre zu spät kommt Tsangaris‘ erbärmliches Musiktheater. Derweil rotiert Tsangaris‘ Lehrer Kagel in seinem Grab – hatte er derartige Theaterideen doch vor so langer Zeit schon realisiert. Und zwar besser, provokativer, politischer, unterhaltsamer und vor allem weniger anbiedernd.

I don’t want to eat. I want to hear good music.

Manos says: „Eat it.“ I say: „Fuck you!“

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Arno Lücker wuchs in der Nähe von Hannover auf, studierte Musikwissenschaft und Philosophie in Hannover, Freiburg - und Berlin, wo er seit 2003 lebt. Er arbeitet als Autor (2020 erschien sein Buch »op. 111 – Beethovens letzte Klaviersonate Takt für Takt«, 2023 sein Buch »250 Komponistinnen«), Moderator, Dramaturg, Pianist, Komponist und Musik-Satiriker. Seit 2004 erscheinen regelmäßig Beiträge von ihm in der TITANIC. Arno Lücker ist Bad-Blog-Autor der ersten Stunde, Fan von Hannover 96 und den Toronto Blue Jays.

2 Antworten

  1. lwerdenberg sagt:

    Hallo Arno,
    Habe gestern den Tsangaris am Radio mitverfolgt, das war wirklich übel -*- Sphlinger fand ich in seiner satztechnischen Einfachheit streckenweise sehr interessant. Kannst ihn mal fragen, warum er seine Texte immer mit „kleinbuchstaben“ schreibt? – seine Schüler machen das auch…hm.
    Konnte man wenigstens Wachteln essen, wenn man den Tsangaris überlebt hat? Am Radio wurde davon berichtet.
    Zu Ricordi: da bin ich ganz und gar nicht deiner Meinung: Der Grisey, der Castiglione, Donatoni, Sciarrino (leider weg), Eötvös (leider auch weg), Globokar, Goebbels… eine Tolle Sammlung finde ich!
    Gruss aus der Schweiz

  2. pjotr sagt:

    in der „catering station 2“ wartet bereits ein fischiger geruch auf die (wieder wartenden) besucher.

    ich frage mich, ob es davor auch noch andere speisen außer dieser ziemlich unappetitlichen fisch und rogen kombi gab?

    das bier und der wein waren jedenfalls strategisch klug plazierte mittel, die tsangaris (vorsichtshalber ?) in sein opus delirium eingebaut hat…

    zudem konnte ich hier etwas von einem angehenden dirigenten lernen, der versuchte seine die nase mit beiden händen zuhaltende begleiterin mit folgenden worten afzumuntern:

    „frauen sind bei gerüchen wirklich viel empfindlicher als männer!“

    dabei war sie die einzige im geschlechtermäßig gut gemischten raum, die sich traute gestischen protest zu üben.

    in donaueschingen funktioniert die bürokratie 1A und generationenübergreifend (opa – mama und enkeltochter zählen bis 32)

    einmal ungeachtet meiner kritischen haltung sowohl gegenüber tsangaris theater als auch in weiten teilen der umsetzung spahlingers immerhin konzeptuell einigermaßen überzeugenden komposition, fand ich den festivalauftakt dennoch bemerkenswert.

    wie es ohnehin für die teilnehmer des off-programms schon seit mittwoch üblich war, bewegte ich mich auch am freitag eigentlich andauernd von einem ort zum nächsten und zurück. das galt im besonderen für die beiden eröffnungswerke.

    die bewegungen erzeugten sicher nicht nur bei mir eine gewisse ablenkung von der rein klanglichen ebene hin zur wahrnehmung des publikums, seines verhaltens bis hin zum erlebnis des wechselhaften wetters.

    bei „doppel bejaht“ war es spannend die dynamik in den bewegungen des publikums im verhältnis zum aktuellen musikikalischen geschehen zu beobachten. die ständigen veränderungen im publikum hatten ihrerseits zweifellos einen einfluss auf die musiker.

    ich mochte es sehr, wie sich gegenseitig bekannte pesonen im publikumsraum begegnen konnten, handshake, small talk, wissendes lächeln bzw. stirnrunzeln, hinsetzen, weiterlaufen, umdrehen, heimgehn

    danke für den blog

    allet jute, peter